Ethik im Kontext: Reflexionen eines Lexikons von 1908 zur Moralphilosophie
Ethik im Kontext: Reflexionen eines Lexikons von 1908 zur Moralphilosophie

Ethik im Kontext: Reflexionen eines Lexikons von 1908 zur Moralphilosophie

In diesem Beitrag geht es um die Definition und das Verständnis des Wortes Ethik in einem historischen Kontext. Wobei ich nicht zu weit in der Geschichte zurückschauen möchte, wie zum Beispiel bei Aristoteles (384 v. Chr. in Stageira; † 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa), es genügt ein Blick in ein Lexikon aus dem Jahr 1908. Meyers kleines Konversations–Lexikon, siebente Auflage in 6 Bänden.

Hier haben wir das Originaltranskript in deutscher Sprache. Da es sich um eine veraltete Sprachform sowie Rechtschreibung und altdeutsche Schrift handelt, habe ich den Text übernommen, jedoch Grammatik und Stil unverändert gelassen. Für die englische Übersetzung habe ich eine ausführliche und formelle Formulierung gewählt, da kein Ursprungstext vorhanden ist.

Zitat:

Ethik (v. griech. ēthos, „Sitte, Charakter“) oder Moral (v. lat. Mores, „Sitten“), Sittenlehre, Zweig der Philosophie, der sich mit dem Menschen als einem handelnden Wesen beschäftigt (praktische Philosophie) und Grundsätze der Lebensführung aufstellt. Durch den Begriff des Wollens wird die Ethik als normative (gesetzgebende) Wissenschaft von den theoretischen Wissenschaften, die es mit dem Sein zu tun haben, unterschieden. Die Erkenntnis dessen, was ist, ist zwar notwendig zur Wahl der Mittel (zur Erreichung eines Zweckes), gibt aber keinen Anhalt, welche Zwecke anzustreben sind. Dies ist die erste Aufgabe der Ethik, und zwar zunächst des mit Güterlehre bezeichneten Teiles der Ethik. (Die letzten Lebenszwecke sind zugleich die höchsten Güter). Ferner sucht die Tugendlehre, da wir die Handlungen der Menschen selbst sittlich beurteilen, indem wir sie als gut oder böse, sittlich oder unsittlich bezeichnen, die sittliche Wertschätzung in allgemeingültiger Weise festzulegen. Die Pflichtenlehre endlich leitet aus den als richtig erkannten allgemeinen Prinzipien spezielle Anweisungen für unser Handeln ab. Diese Prinzipien oder sittlichen Normen sind bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten verschieden. Daher muss die wissenschaftliche Ethik nach den eigentlichen Quellen der ethischen Einsicht forschen. Hier unterscheidet sich heteronome und autonome ethische Systeme. Erstere berufen sich auf eine außer- oder übermenschliche Autorität (z.B. Gottes), die den Menschen Sittengesetze vorschreibt (Die Ethik des Alten Testaments), letztere setzen im Menschen selbst entweder ein natürliches sittliches Gefühl voraus (Gefühlsethik: Shaftesbury, Hume, Jakobi, Schoppenhauer u.a.), oder gründen die ethischen Normen auf den die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens erwägenden Verstand (Verstandesethik: Locke, Bentham, Mill, Spencer) oder auf unmittelbar einleuchtende Anweisungen der Vernunft (Vernunftethik: Kant, Fichte, Hegel, v. Hartmann). Die heteronome (religiöse) und die autonome (rein menschliche Ethik) bekämpfen sich seit mehreren Jahrhunderten. Die neuerdings begründete Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur (siehe ethische Kultur) sucht der autonomen Ethik Eingang im Volk und in den Schulen zu verschaffen. Die Ergebnisse der autonomen Systeme sind hinsichtlich der Prinzipien sehr verschieden. Der Eudämonismus (s. d.) macht das Glück zum Endzweck und zwar als Egoismus (s. d.) das des Individuums oder als Utilitarismus (s. d.) das der Gesamtheit. Der Evolutionismus stellt die fortschreitende Entwicklung als Endziel menschlichen Strebens hin (des Einzelnen: Leibniz, die deutsche Aufklärungsphilosophie, oder der Menschheit: Fichte, Hegel, v. Hartmann, Mundt, Nietzsche). Nach der sittlichen Wertung werden Erfolgs- und Gesinnungsethik (engl. Ethiker, bez. Kant), nach den vorausgesetzten Motiven Systemen unterschieden, die auf die richtige Einsicht bauen, die Tugend also für „lehrbar“ halten (Sokrates), und solche, die sie auf das Gefühls- und Triebleben gründen (überwiegen der sozialen Triebe über die egoistischen [Spencer}, Rechthandeln aus „Neigung“ [Schiller}).

Zitat Ende

Quellenangaben:

Bgl. Ethik v. Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins (2. Aufl. Berl. 1886);

Spencer, Die Prinzipien der Ethik (Deutsch Better and Janus, Stuttg. 1879 – 95, 2 Bde. in 4 Abtlgn.; 1.Bd., 1 Abt. in 2. Aufl. 1902);

Hensel, Hauptprobleme der Ethik (Leipz. 1903);

Mundt, Ethik (3. Aufl., Stuttg. 1903, 2 Bde.);

Lipps, Die ethischen Grundfragen (2. Aufl., Hamb. 1905);

Paulsen, System der Ethik (7. u. 8. Aufl., Stuttg. 1906, 2 Bde.);

Jodl, Geschichte der Ethik als philosophischer Wissenschaft (2. Aufl., Das. 1906 ff.).

Eine Schlussfolgerung in moderner Sprache:

Dieser Lexikon-Eintrag aus dem Jahr 1908 bietet interessante Schlüssel zur Ethik. Hier einige interessante Aspekte:

Ethik als praktische Philosophie:

Der Text betont die Ethik als eine Disziplin, die sich mit dem Menschen als handelndem Wesen und seiner Lebensführung beschäftigt. Im Gegensatz zu theoretischen Wissenschaften untersucht sie normative Prinzipien und das Wollen.

Dreiteilung der Ethik:

Güterlehre: Was sollen die höchsten Lebenszwecke sein? Es geht um die Wahl der anzustrebenden Zwecke und höchsten Güter.

Tugendlehre: Sittliche Handlungen werden moralisch bewertet und allgemeingültige Maßstäbe für diese Urteile gesucht.

Pflichtenlehre: Ableitung konkreter Handlungsanweisungen aus allgemeinen ethischen Prinzipien.

Heteronome vs. autonome Ethik:

Heteronome Systeme: Ethik wird von äußeren Autoritäten (z. B. Gott) abgeleitet.

Autonome Systeme: Ethik wird im Menschen selbst verankert, sei es durch Gefühl (Gefühlsethik), Verstand (Verstandesethik) oder Vernunft (Vernunftethik).

Ethische Vielfalt und Konflikte:

Die verschiedenen Systeme, wie Eudämonismus (Ziel: Glück), Utilitarismus (Ziel: Gemeinwohl) oder Evolutionismus (Ziel: Entwicklung), zeigen die Bandbreite und Uneinigkeit der ethischen Prinzipien. Ebenso der Konflikt zwischen religiöser und autonomer Ethik.

Sittliche Bewertung von Handlungen:

Gesinnungsethik: Handlungen werden nach den Motiven und der Einstellung bewertet (Kant).

Erfolgsethik: Handlungen werden nach ihrem Ergebnis beurteilt.

Lehrbarkeit der Tugend: Unterschied zwischen Sokrates’ „Einsicht“ und Ansätzen, die sich auf Emotionen und Triebe gründen (Spencer, Schiller).

Philosophische Quellen und Entwicklung: Der Text verweist auf wichtige Werke und Denker wie Kant, Hegel, Fichte und Schiller, welche die Ethik weiterentwickelt haben.

Zusammengefasst zeigt der Lexikoneintrag eine umfassende, historische Perspektive auf die Ethik als Wissenschaft und die Vielfalt ihrer Ansätze. Ethik und Moral sind Themen, die die Menschheit seit jeher beschäftigen. Dabei müssen sie flexibel bleiben und sich den Veränderungen und Herausforderungen des Lebens anpassen. Die Ansprüche in den verschiedenen Lebensbereichen können durchaus unterschiedlich und anspruchsvoll sein. Dieses historische Beispiel trägt jedoch dazu bei, grundlegende Prinzipien besser zu verstehen.

Meyer Lexikon Ethik Page 2
Meyer Lexikon Ethik Page 2
Meyer Lexikon Ethik Page 1
Meyer Lexikon Ethik Page 1

One comment

  1. Pingback: Ethics in Context: A 1908 Lexicon’s Reflection on Moral Philosophy – Poschacher International Ltd

Comments are closed.